Vorwort
Stellen
Sie sich, geneigter Leser, doch bitte einen großen, freien Raum vor. In dem
Raum befindet sich auf der einen Seite ein Eingang, durch den helles Licht
hineinströmt; die anderen 3 Wände sind dicht geschlossen.
Wie
wir uns leicht vorstellen können, werfen Objekte, die in diesem Raum stehen,
verschiedenste Schattenbilder an die der Lichtquelle gegenüberliegende Wand.
Erkennen kann man aber an der Wand nur 2 Dimensionen des Gebildes, seine Breite
und seine Höhe; die Tiefe geht auf dem Abbild verloren. So kann es erscheinen,
dass 2 verschiedene Objekte das selbe Bild werfen: Etwa erscheint uns ein Ball,
der im Raum schwebt, als das selbe Bild wie ein Zylinder, dessen Runde Flächen
zur Seite des Lichtes und zur abbildenden Wand gerichtet sind. Und ein und das
selbe Objekt kann 2 völlig verschiedene Schattenbilder haben, wenn es nur
anders im Raum gedreht ist (so erscheint das Bild unseres Zylinders wie ein
Rechteck, wenn wir den Zylinder wie eine Säule auf den Boden des Raumes
stellen).
Ähnlich
verhält es sich mit Gleichnissen. Wenn ich ein Gleichniss wähle, um einen
Sachverhalt zu erklären, so wird mein Gleichniss (wenn ich es geschickt wähle)
den wirklichen Sachverhalt widerspiegeln. Gewisse Punkte aber, die für das, was
ich darlegen will, nicht wesentlich sind, werden im Gleichniss nicht erkennbar
sein, genauso, wie die Tiefe unseres Objektes im Schattenraum uns durch die
Schatten nicht bekannt wird. Es ist dabei keineswegs so, dass der Schatten etwa "lügt" oder als
"Fälschung" bezeichnet werden kann; wie sollte auch
etwas lebloses wie ein Schatten lügen, also absichtlich die Unwahrheit sagen?
Unser Gleichniss hat von vornherein gar nicht den Anspruch, die Wirklichkeit zu sein,
sonder nur, diese abzubilden.
Ich
will ein Beispiel nennen: Jeder kennt das bekannte Sprichwort: "Wie man in den
Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus". Gemeint ist mit diesem
Satz in etwas, dass das Verhalten, was Sie anderen Menschen entgegenbringt, häufig
im Zusammenhang steht mit der Art, wie die anderen Menschen mit Ihnen umgehen.
Diese Tatsache ist tatsächlich nachweisbar, sie ist eine Folge komplizierter
psychologischer Vorgänge, für deren Belege eine hohe Anzahl von Test und
Experimenten nötig sind. Um zu begründen, warum sogar theoretisch diese
Aussage ihre Berechtigung hat, reicht die Psychologie noch nicht einmal aus: Wir
müssen zumindest die Evolutionstheorie hinzuziehen, und wenn wir wirklich exakt
werden wollen, kommen wir ohne die Hilfe von höherer Mathematik wahrscheinlich
auch nicht mehr aus.
All
diese Zusammenhänge sind in dem obengenannten Sprichwort natürlich nicht
enthalten. Sie sind auch für das, worum es geht, nicht so fürchterlich
relevant.
Aber
trotzdem ist Vorsicht angbracht: Stellen Sie sich vor, Sie irren sich im Urlaub
im Hotelzimmer, und platzen unangemeldet in ein Treffen von Waffenschiebern, die
gerade ihr Warenlager auf dem Bett ausgebreitet haben. Ich darf Ihnen dringend
davon abraten, in dieser Situation an obigen Satz zu denken und zu hoffen, dass
ein freundliches "Angenehmen guten Abend, was haben Sie denn da Hübsches?",
eine höfliche Reaktion zur Folge hätte. Vielmehr sollten Sie auf dem Absatz
kehrt machen und die Flucht ergreifen, sowenig sie selber vielleicht auch in ähnlicher
Situation so behandelt werden wollen.
Sie
sehen, ein Gleichniss stellt immer eine Vereinfachung dar. Hinzu kommt ein
weiterer Effekt: Wenn Sie sich zu Heutiger Zeit an einen Wald stellen und etwas
hineinrufen, so muss es durchaus nicht so sein, dass überhaupt etwas
hinausschallt; das dichte Unterholz und der enge Bewuchs frei wachsender Wälder,
die den genannten Effekt erzeugen, sind heute nicht mehr unbedingt die Regel,
und so verhallt ihr Ruf vielleicht unreflektiert. Als der Spruch aber aufkam
(wir können wohl annehmen, dass dies einige Zeit her ist) hatte er eine viel
direktere Bedeutung, allein schon deshalb, weil Wald allgemein heute seltener
geworden ist, und wir nicht so mit seinen Effekten vertraut sind. Sollte die
Zukunft mit sich bringen, dass alle Wälder dieser Erde versterben, so wird der
Inhalt der Aussage den Kindern dieser Zukunft nur noch sehr schwer zu vermitteln
sein. Es ist etwa so, als würde man auf der Wand unseres Schattenraumes den
Schatten eines Objektes mit einem Filzstift nachzeichnen, und danach bewegt sich
die Sonne oder die Lichtquelle, und der Schatten verrutscht und zeigt sich von
etwas anderer Seite.
Das
Buch der Bücher, die Bibel, ist eine Zusammenfassung einer ungeheuren Menge an
Büchern. Sie besteht zum größten Teil aus Gleichnissen und Geschichten. Im
Zeitraum, in dem die Bibel verfaßt wurde, war es nicht sinnvoll, die
Wirklichkeit anders als mit Gleichnissen zu umschreiben. Zum einen waren
Gleichnisse nicht schwer verständlich (der Hörer eines Gleichnisses kann die
Moral einfach ‘ablesen’, indem er sich wie der Held des Gleichnisses verhält),
zum zweiten fehlten für die zweite, die heute im wesentlichen verwendete
analytisch-mathematische Darstellungsweise noch wesentliche Teile. So gesehen
ist die Bibel zu verstehen als ein Sachbuch. Ein Mathematikbuch z.B. enthält
normalerweise im Wechsel Abschnitte, in denen Tatsachen vermittelt, Folgerungen
mitgeteilt und "Anwendertips" gegeben werden, und dann wieder Abschnitte, in
denen diese Dinge exemplarisch angewandt werden. Die Gleichnisse der Bibel
stellen auf ihre Weise Tatsachen dar, und danach stellen die Geschichten, Erzählungen
und Legenden dar, wie das aus den Gleichnissen angegebene Wissen genutzt werden
kann (Wobei natürliche beide Punkte auch ineinander überfließen und eine
klare Trennung im Allgemeinen nur schwer möglich ist).
Wenn
wir heute die Bibel lesen, dann neigen wir zu 2 schweren Fehlern: Der erste,
leider immer noch häufig vorkommende Fehler ist, dass wir die Bibel wie ein
heutiges Mathebuch verstehen. Wir sind - von Schule, Eltern, ja selbst von jeder
einfachen Wegbeschreibung - so sehr gewohnt, Tatsachen analytisch und sozusagen
direkt mitgeteilt zu bekommen, dass wir uns in die in unseren Augen
‘veraltete’ Methode der Gleichniss-Sprache nur schwer hineindenken können.
So verfallen manche Menschen z.B. in den - in meinen Augen aberwitzigen -
Gedanken, der 1. Schöpfungsbericht (Genesis, 1. Kapitel) würde die Aussage
tragen, dass die Welt von Gott zusammengesetzt worden ist wie die Bausteine
eines Lego-Hauses, ohne Entwicklung, ohne Zwischenschritte oder Selbstständigkeit.
Ich bitte mich nicht misszuverstehen: Dass die Welt eine Ursache hat, bestreite
ich keineswegs, und diese Ursache als "Gott" zu bezeichnen, kann ich auch
als sinnvoll ansehen: Das dieser Gott aber sozusagen "Ingenieurtechnisch"
gearbeitet hat, dass halte ich für eine arge Fehlinterpretation. Darüberhinaus
gibt es ja genügend wissenschaftlich mehrfach fundierte Erkenntnisse (die uns
in der für uns leichter verständlichen, analytischen Form vorliegen), die
einer solchen Idee jedenfalls widersprechen.
Der
2. Fehler ist beruht auf der Tatsache, dass die Bibel nur ein "nachgezeichnetes" Schattenbild ist, das einige Zeit vor uns aufgezeichnet
worden ist. Um wieder die Genesis 1 als Beispiel heranzuziehen: Hier ist von "7 Tagen" die Rede, in denen die Welt geschaffen worden sein soll. Es ist
wohl unsinnig zu betonen, dass damit schwerlich 7 Tage unserer heutigen
Vorstellung gemeint sind: Also im Sinne von 168 Stunden oder 604800 Sekunden.
Einerseits ist diese Interpretation durch mehrfache belegte Angaben über die Länge
unserer Entstehung widerlegt (wobei natürlich argumentiert werden könnte, dass
die Bibel als solche auch falsche Tatsachen enthält, was ich nicht abstreiten möchte:
Es geht mir hier aber nur darum, eine Interpretation der Bibel zu ermöglichen,
unter der Annahme, die Bibel drücke - auf ihre Art - Wahrheiten aus), zum
zweiten ist mit dem Bild eines Tages nicht unbedingt ein Erdentag gemeint (es
sind übrigens auch durchaus andere Übersetzungen denkbar). Für Menschen der
Zeit um das Jahr 0 herum war wohl eine Vorstellung eines sehr langen Zeitraumes
durchaus durch ein Tag auszudrücken. Ich möchte hier anführen, dass wir auch
von einem ‘Augenblick’ zu sprechen pflegen, wenn wir doch einen Zeitraum von
einigen Minuten meinen; ein wörtlicher Augenblick, also die Zeit, bis ich mein
Umgebung mit den Augen wahrgenommen habe, kann aber sowohl als Bruchteil weniger
Sekunden verstanden werden (falls ich z.B. in einem geschlossenen Raum stehe),
oder aber auch als mehrerer Jahrhunderte (bis ich etwa einen entfernt
entstandenen, neuen Stern am Firmament gesehen habe).
Mölln, ca. 1990