Der Gerechte Krieg
Dieser Text entsteht aus zwei Motivationen: Zum einen halte ich im
Rahmen der neuesten Entwicklung nach dem 11.9.2001 die Überlegung, ob und falls
ja unter welchen Bedingungen ein Krieg gerecht ist, für die alles entscheidende
Frage, zumindest zu diesem Zeitpunkt (13.9., 22:17 Uhr). An ihr wird die
Reaktion der „zivilisierten“ Welt in der Geschichte gemessen werden. Und das
beinhaltet nun einmal auch eine Wertung meiner Person, da ich mich zumindest
gerne für zivilisiert halten möchte.
Zum zweiten werde ich im Rahmen des Seminars „Religion und Gewalt“ in
der Sommerakademie 2001 in Rovinj einen Einstieg in die Diskussion über genau
dieses Thema darlegen. Dieser Text enthält im wesentlichen den Inhalt dieses
Einstiegs.
Der Begriff „gerechter Krieg“ wird gemeinhin und insbesondere hier
operational verstanden, d.h. man soll einen Krieg dann und genau dann führen,
wenn er gerecht ist. Unter einem Krieg wird hier eine Auseinandersetzung von
mindestens zwei Völkern einer gewissen Größe mit Waffengewalt verstanden, deren
Streitkräfte militärische organisiert sind. Ein Krieg unterscheidet sich von
einer bewaffneten Auseinandersetzung im wesentlichen dadurch, dass nicht jeder
Teilnehmer einer Seite gegen jeden Teilnehmer der anderen Seite einen persönlichen
Grund hat, ihm Schaden zuzufügen. Alle Aussagen beziehen sich auf einen Krieg
in diesem Sinne, wobei natürlich für verwandte Situationen unter Umständen
ähnliche Gedanken gelten können.
Wenden wir uns jetzt dem Begriff „gerecht“ zu. Ich sehe drei Aspekte
dieses Begriffes, die ich mit legal, legitim und gerechtfertigt bezeichnen
möchte. Der erste beschreibt die unmittelbare Befolgung eines festgelegten,
formalen Regelwerkes. Eine Handlung ist dagegen legitim, wenn sie der Idee des
Gesetzes entspricht, auch wenn nicht notwendigerweise dessen Buchstaben. Unter
gerechtfertigt verstehe ich in diesem Zusammenhang die Sinnhaftigkeit einer
Handlung, d.h. ihre Rückführbarkeit auf ein vorgegebenes Ziel. Wir stellen
fest, dass wir normalerweise für unser intuitives Verständnis von Gerechtigkeit
alle drei Aspekte monoton voraussetzen, d.h. je mehr ein Aspekt erfüllt ist,
desto eher erscheint uns die Handlung gerecht. Überfährt ein Autofahrer z.B.
eine rote Ampel, so würde wir es wohl den Begriff „gerecht“ vermeiden, auch
wenn er die Idee des Gesetzes (den Straßenverkehr sicher zu halten) nicht
verletzt hat und wir außerdem seine Motivation nachvollziehen können. Der
Begriff der Legitimität ist uns im Allgemeinen sogar noch wichtiger; so
verurteilen wir den Handel mit einer neuartigen chemischen Droge auch dann,
wenn Sie noch nicht explizit im Gesetz verboten ist. Im dritten Falle erscheint
es uns auch ungerecht, wenn wir den Sinn einer Handlung nicht nachvollziehen
können, wenn etwa ein Vermieter seinen Mietern die Haltung von Fischen
verbietet, weil Haustiere laut Mietvertrag untersagt sind; selbst wenn das
Gesetz hier im Sinne seines Ziels, Lärmbelästigung zu vermeiden, völlig sinnlos
angewandt ist.
Im Falle des gerechten Krieges, also bei der Frage, unter welchen
Bedingung ein Krieg zu führen ist, gibt es ebenfalls diese drei
Herangehensweisen. Die erste Möglichkeit besteht darin, formal Bedingungen
aufzustellen, bei deren Erfüllung ein Krieg geführt werden kann. Gläubige
Menschen könnten es auch für den Königsweg halten, diese Bedingungen aus den
Quellen ihres Glaubens, z.B. der Bibel, heraus zu suchen. Ein Krieg, der unter
diesen Regeln geführt wird, ist dann zumindest legal. Die Legitimität kann
natürlich zum Problem werden, wenn eine spezielle Situation bei der Aufstellung
der Regeln nicht vorausgesehen werden konnte. Natürlich könnte man
argumentieren, dass ein göttlicher Autor mit diesem Problem nicht behaftet ist
(aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen nimmt z.B. der Islam an, dass die
Regeln des Korans für alle Zeiten und Situationen die optimale Handlungsweise
darstellen). Angesichts der Vielfalt an Regeln in den verschiedenen Religionen
würde hier die Wahl aber wohl verhältnismäßig schwer fallen; es lässt sich also
nicht recht feststellen, was genau das göttliche Gesetz nun ist.
Zur Umgehung dieser Probleme könnten wir uns mehr auf die Legitimität
verlegen. Oft ist es möglich, in Gesetzen behandelte Situationen durch
Analogieschluss auf eine nicht behandelte, ähnliche Situation anzuwenden. Auch
die religiösen Quellen können nach zu Grunde liegenden Ideen durchsucht werden,
und anhand dieser die Auswahl der Regeln vorgenommen bzw. die nicht geklärten
Situationen ergänzt werden. Man kann auch argumentieren, dass unsere Gefühle
eine unmittelbare Einsicht in Gottes „Gesetzidee“ darstellt und wir somit auf
dieser Basis die Gerechtigkeit eines Krieges bewerten können. Aber auch in
diesem Ansatz haben sind natürlich einige Probleme offenbar: Die
Interpretationsmöglichkeit religiöser Quellen sind meist vielfältig, und viele
Interpretationen unterscheiden sich in wesentlichen Punkten für die
Betrachtung. Unser „Urteil aus dem Bauch heraus“ ist natürlich überlagert durch
unsere Prägung und Vorbildung, und in der akuten Entscheidung noch viel mehr
durch kurzfristige Emotionen wie Ärger, Angst oder Hilflosigkeit.
Die Rechtfertigbarkeit, im ersten Hinsehen der schwächste Vertreter der
Gerechtigkeit, könnte eine Lösung dieser Probleme darstellen. Von besonderer
Wichtigkeit ist dabei folgende Einsicht: Woraus immer ein fiktives „Gesetz“ zur
Entscheidung eines Krieges entsteht, sei es nun Gott, eine Art Weltseele, oder
unsere eigene Menschlichkeit (oder alles in einem), in jedem Falle wissen wir,
zu welchem Konsequenz hin diese Gesetze bestehen, nämlich zum optimalen Schutz
und Nutzen der Menschen. Das heißt, eine Handlung zu diesem Ziel ist eine im
Sinne eines solchen göttlichen Gesetzes eine legitime Handlung und daher bei
situationsgerechter Notation dieses Gesetzes auch eine legale Handlung; wir
schlagen hier also drei Fliegen mit einer Klappen, der Vernunft. Ein wichtiges
Gegenargument zu dieser Auffassung ist, dass der Eindruck entstehen könne, wir
haben damit einfach nur eine Tautologie festgestellt und uns um die eigentliche
Aussage, was ein gerechter Krieg ist, gedrückt. Insbesondere könnte es uns –
als Menschen – unmöglich sein, herauszufinden, ob ein potentiell zu führender
Krieg sinnvoll für die Menschen ist. Ich streite dies inhaltlich nicht ab.
Allerdings gilt zum ersten Punkt festzuhalten, dass es sich – falls es sich
tatsächlich um eine Tautologie handelt – offenbar nicht um eine allgemein
erkannte handelt, denn oft hört man die Argumentation, dieser und jener Kampf
sei „zwar sinnlos, aber gerecht“. Zum zweiten Punkt ist nicht die entscheidende
Frage, ob wir absolut feststellen können, ob ein Krieg gerecht ist, sondern ob
wir es mit höherer Sicherheit können als mit den Alternativen. Die Problematik
darin, die Gerechtigkeit aus einem formalen Gesetz oder einer Interpretation
eines „ästhetischen“ (im Sinne von unbegründeten, aber allgemeine anerkannten)
Bauchentscheidung zu treffen, lassen uns ab einem bestimmten Punkt einfach
stehen – wir glauben daran oder nicht, bzw. wir glauben unserem abstrakten
Gefühl oder eben nicht. Die Rückführung auf Gewinn und Verlust ist natürlich
eine unheimlich schwierige Aufgabe, aber ihr Erfolg ist nicht begrenzt: Je
sorgfältiger man die Möglichkeiten abschätzt, desto wahrscheinlicher trifft man
auch eine rechtfertigbare im Sinne des Nutzens für die Menschen und daher
gerechtere Entscheidung.
Zwischensituation entstehen jedoch offenbar, wenn die benötigte Zeit
für eine sorgfältige Betrachtung nicht vorhanden ist (da wohl in den meisten
Fällen jede Erörterung der Folgen nur eine immer besser werdende Approximation
darstellt, ist die Zeit bis zur perfekten Entscheidung sogar unendlich lang und
daher niemals zur Verfügung). Wir haben ein ähnliches Problem wie bei einem
Schachcomputer: Wir könnten zwar bis zum letzten Zug vorausrechnen, dafür fehlt
aber jede Zeit. Daher müssen wir uns ab einem gewissen Zeitpunkt für eine
Möglichkeit auf Basis anderer, allgemeinerer Überlegungen entscheiden. Bei
Kriegen sind Situationen plausibel, in denen man eine erste Entscheidung mehr
oder weniger unmittelbar treffen muss (etwa wenn ein Feind mit einem Einmarsch
beginnt). Wir können also versuchen, auf der Basis eines maximalen Gewinns für
die beteiligten Menschen formale Regeln aufzustellen, nach denen wir einen
Krieg als gerecht beurteilen, bis wir eine besser durchdachte Entscheidung
treffen können (so eine Art „Notfallplan“). Diese Regeln haben jetzt zwar eine
klar umrissene Quelle, es bleibt jedoch das Problem, dass sie im Allgemeinen
nicht genau auf die spezielle Situation zutreffen.
Sollen wir also, wenn uns die Zeit zur vernünftigen Überlegung fehlt,
uns aber die durch die Regeln festgelegte Entscheidung nicht „legitim“ im Sinne
dieser Regeln scheint, uns auf unser Gefühl verlassen? Ich bin entschieden der
Ansicht, dass wir das in jedem Fall nicht dürfen. Dies hat zwei wesentliche
Gründe: Zum einen wird die Wahrnehmung der konkreten Situation unsere
Urteilsfähigkeit bezüglich der Legitimität völlig unterwandern, und zwar ohne
dass wir das im vollen Umfang bemerken; man bezeichnet diesen in der
Psychologie wohlbekannten Effekt als fundamentalen Attributionsfehler, der eine
Verkennung der situationalen Aspekte gegenüber den in unser Persönlichkeit
liegenden Aspekten beschreibt. Der zweite Punkt ist der, dass wir uns damit die
Möglichkeit zur rationalen Betrachtung verbauen. Falls wir nämlich im nachhinein
aufgrund genauerer Betrachtung zur Einsicht gelangen sollten, dass wir uns doch
besser an den Wortlaut der Regeln gehalten hätten, müssen wir unseren Fehler
vor uns selber und außerdem vor allen, für die wir diese Entscheidung getroffen
haben, zugeben. Derartiges von uns selber zu erwarten, ist wohl eine ziemliche
Selbstüberschätzung.
Gegen diese beiden Punkte halte ich die Gefahr, dass die Gesetze die
Situation nicht passend beschreiben, für gering, zudem wir ja durch rationale
Erwägungen in absehbarer Zeit danach unsere Entscheidung gut begründet
absichern oder revidieren können.
Ein vorstellbarer Kompromiss wäre, zwischen notwendigen und zwingenden
Bedingungen für einen Krieg zu unterscheiden; demnach wäre dann ein Krieg in
keinem Fall gerecht, wenn nicht alle notwendigen Bedingungen erfüllt sind, und
in jedem Fall gerecht, wenn alle zwingenden Bedingungen erfüllt sind. In dem
(möglichst kleinen!) Raum dazwischen können dann eventuell noch Entscheidungen
„aus dem Bauch“ mitspielen.
Gehen wir jetzt also auf die Regeln ein, die man für die „erste
Entscheidung“ zu Grunde legen kann. Die klassische Theorie des gerechten
Krieges stellt 5 Regeln auf, die festlegen, ob ein Krieg gerecht ist („Ius ad
bellum“), und zwei weitere, die festlegen, ob ein Verhalten im Krieg gerecht
ist („Ius in bellum“) (aus meinen Quellen ging nicht eindeutig hervor, wer der
ursprüngliche Autor dieser Regeln gewesen ist; an einer Stelle wird Cicero
damit in Verbindung gebracht). Diese Regeln lauten:
1)
Es muss einen gerechten Grund für den Krieg geben
2)
Der Krieg muss von einer legitimen Autorität erklärt werden
3)
Der Krieg muss mit einer gerechten Absicht geführt werden
4)
Es müssen alle anderen möglichen Mittel vorher probiert worden sein
5)
Es muss eine vernünftige Hoffnung auf Erfolg bestehen.
6)
Der Schaden der nicht am Krieg beteiligten (Kollateralschaden) muss
minimal sein
7)
Im Krieg dürfen keine Mittel eingesetzt werden, die größeren Schaden
verursachen, als durch den Krieg verhindert werden sollte.
Stratmann formuliert nach dem 1. Weltkrieg zehn Regeln für einen
gerechten Krieg, die m.E. im Prinzip den eben genannten gleichen, allerdings
mit folgenden Verschärfungen:
ad 1) Der Schaden, der durch den Krieg
verhindert werden soll, muss sowohl materieller als auch moralischer Natur
sein.
ad 2) Die legitime Autorität muss denn Krieg
im Namen Gottes erklären
ad 5) Aus „vernünftiger Hoffnung“ wird
„Sicherheit“ eines Erfolges.
Augustinus hatte extremere Ansichten zum Krieg. Er formulierte
explizit, dass das Töten im Krieg selbst nicht dem christlichen Gedanken
widerspreche (). Eine wichtige Unterscheidung zu späteren Theorien ist
außerdem, dass die Gerechtigkeit des Krieges im Allgemeinen nur von der
jeweiligen Staatsmacht entschieden werden könne; nur wenn der einzelne Kämpfer
sicher wäre, dass er einen ungerechten Krieg führe, dürfe er den Gehorsam
verweigern (“in dubio pro auctoritas“). Dieser Grundsatz wurde erst 1967
offiziell von der katholischen Kirche aufgehoben. Die expliziten Bedingungen
für einen gerechten Krieg nach Augustinus waren die ersten beiden Bedingungen
der klassischen Theorie des gerechten Krieges und dazu noch eine Variation des
dritten, die besagt, dass kein Wunsch zum Töten des Gegners bestehen darf (dies
darf sozusagen nur als unvermeidliches Übel in kauf genommen werden).
Insbesondere aus dem Nationalsozialismus müssen wir wohl eine weitere
Einstufung eines Krieges als gerecht hinzufügen: Nämlich die Einstufung, das
absolut jeder Krieg gerecht ist. Hin und wieder wird diese Einstellung (und
leichte Abschwächungen) als Militarismus bezeichnet. Bevor man diese
Einstellung vorschnell von der Hand weist, sollte man sich darüber klar werden,
wie man wirklich dazu steht. Betrachten wir abstrakt zwei völlig voneinander
isolierte, gleiche Umgebungen und nehmen an, auf beiden befindet sich ein
gleich großes Volk mit gleichem Entwicklungsstand. Das eine Volk ist dergestalt
veranlagt, jeden Konflikt, der im Tot eines Menschen enden könnte, zu
vermeiden. Das andere Volk dagegen ist streitsüchtig und macht auch vor Kriegen
keinen Halt. Welches der beiden Völker wird sich über kurz oder lang stärker
entwickeln (im Sinne: Zu einem glücklicheren Volk entwickeln)? Wenn wir mal
annehmen, dass sich das zweite Volk nicht irgendwann selbst ausrottet, so sind
sie sicherlich motivierter, Dinge wie moderne Waffen zu erfinden oder
Verteidigungsmittel zu entwickeln. Man sagt, der Krieg sei der Vater aller
Dinge; mit anderen Worten, es könnte sein, dass die Entwicklung dieser Waffen
sozusagen als Dropout auch sinnvolle Güter hervorbringt, die den Lebensstandart
dieses Volkes erhöhen könnte. Meiner Einschätzung nach ist diese Vermutung ein
Irrtum, aber es bedarf eines nicht geringen Aufwandes an Gedanken, um diese
Einschätzung nachzuvollziehen.
Das zweite Extrem einer Theorie des gerechten Krieges, dem wir uns
heute stellen müssen, ist der die Einstellung, kein Krieg sei gerecht.
Besonders die Massenvernichtungswaffen unterstreichen diese Ansicht in Hinsicht
auf die Vernunft: Denn dass ein zu
bekämpfendes Übel höher einzustufen ist als die Wirkung von Massenvernichtungswaffen,
kann man sich durchaus als unmöglich vorstellen. Zur Zeit des kalten Krieges
war die öffentliche Diskussion so sehr auf diesen Punkt fixiert, dass die
Betrachtung der Theorie des gerechten Krieges an sich schon in die Nähe des
Militarismus gerückt wurde. Der 7. Punkt der klassischen Theorie zusammen mit
der heute beobachteten Wirklichkeit lässt uns jedoch klar werden, wieso das
Argument der Massenvernichtungswaffen nicht voll zieht: Ist die eine
kriegführende Partei nicht mit solchen Waffen ausgestattet und beachtet die
andere die Verhältnismäßigkeit der Mittel, so sind heute konventionelle Kriege
durchaus noch real. Tatsächlich beobachtet man, mit Ausnahme des zweiten
Weltkrieges, nur solche Kriege.
Betrachtet man aber keinen Krieg als gerecht, so könnte man folgern,
dass auch keine Bewaffnung sinnvoll sein kann, da man sie sowieso nicht
einsetzen kann (wir erinnern uns, dass wir nur gerechte Kriege führen). Dies
aber könnte für andere, die sich vor der selben Entscheidung sehen, geradezu
als Einladung zum Krieg gesehen werden. Die evangelische Kirche lebt mit diesem
Widerspruch. .... formuliert ein Beispiel schier unfassbaren christlichen
Fatalismus: „...“
Tatsächlich sollte man aber nicht aus den Augen verlieren, dass Waffen
verrückter weise nicht nur zum kämpfen benutzt werden können: Theoretisch
könnte man argumentieren, dass man einer Bewaffnung zustimmt, weil man logisch
folgert, dass die Bedingungen für den Einsatz dieser Waffen niemals erfüllt
sein können. Bevor man diesen Punkt nicht wiederlegt hat, sind Pazifismus und
Bewaffnung kein Widerspruch in sich.
Aus persönlichen positiven Erfahrungen neige ich dazu, zu mich
beschäftigenden Problemen meinen gesamten Bekanntenkreis mit Fragen zu nerven.
In diesem Sinne inoffiziell und nicht repräsentativ habe ich etwa 10 Leute
befragt, was sie vom gerechten Krieg hielten; mehr als die Hälfte sagte aus,
für sie sei kein Krieg gerecht. Der strikte Pazifismus scheint also durchaus
noch eine Grundlage in der Bevölkerung zu haben (wobei ich noch einmal betone,
dass dies höchstens als Grundvermutung für eine richtige Befragung gestellt
werden kann). Dementgegen fragte ich allerdings andere Leute nicht zuerst
abstrakt nach dem Begriff des gerechten Krieges, sondern fragte, ob sie die
Kriegserklärung Frankreichs und Großbritanniens im II. Weltkrieg als gerechten
Krieg empfinden würden; 90 % stimmten dem zu! Ein klassisches Beispiel für den
fundamentalen Attributionsfehler.
Meine Hauptüberlegung gegen ‚blinden’ Pazifismus ist am ehesten das
Problem, dass wir mit dem Pazifismus den Raum verlassen, ohne die Tür hinter
uns abzuschließen. D.h., wenn wir jeden Krieg von vornherein ablehnen, ohne uns
Gedanken zu machen, unter welche Bedingungen (auch wenn sie unsere Meinung nach
unerfüllbar seien) wir ihn annehmen würden, verlieren wir unsere
Falsifizierbarkeit. Wenn etwas Zeit vergangen ist und die ursprünglichen
Argumente des Pazifismus – aus der Theorie des gerechten Krieges heraus –
vergessen sind, hat man einen leichte Hebel, um eine beliebig schlechte Theorie
des gerechten Krieges neu zu installieren. Das gleiche gilt für die blinde
Missachtung des Militarismus; trivial abzulehnen ist er nicht, und wenn wir das
nicht zugeben, ist es später Aggressoren umso leichter, den Militarismus neu zu
beleben.
Obwohl es natürlich vielfach Begründungen für die eine oder andere
Positionen gibt, habe ich doch insgesamt den Eindruck, dass eine sorgfältige
Überprüfung der Bedingungen für eine kurzfristige Entscheidung für oder gegen
einen Krieg nach rationalen Gesichtspunkten noch aussteht. Gleichzeitig würde
ein solcher Bedingungskatalog auch eine Entscheidungsgrundlage für
fortgeschrittenere rationale Betrachtungen darstellen können, ähnlich wie eine
Situationsbewertung in einem Schachprogramm sowohl als Entscheidungsgrundlagen
in Blitzpartien wie auch in längeren Partien als Bewertung potentieller
zukünftiger Situationen verwendet werden kann. Die Formulierung solcher
notwendigen und zwingenden Bedingungen übersteigt im Moment meine
Möglichkeiten. Ich hoffe, dass wir in Rovinj auch zu Ergebnissen in diesen
Punkten kommen.
Explizite Angriffspunkte:
1)
Ein Krieg sollte dann und genau dann geführt werden, wenn er gerecht
ist.
2) Ein Krieg ist eine bewaffnete und militärisch organisierte Auseinandersetzung zwischen Gruppen von Menschen, in denen nicht jeder einzelne eine persönlichen Grund hat, jeden einzelnen der Gegengruppe zu schaden.
3) Eine Handlung ist desto gerechter, je legaler, legitimer und rechtfertigbarer sie ist.
4) Die Aufstellung von formalen Gerechtigkeitsbedingungen aus der Religion ist schwierig und durch den Glauben beschränkt.
5) Der fundamentale Attributionsfehler verbietet die Bewertung der Gerechtigkeit eines Krieges aus dem Bauch heraus.
6) Die Beurteilung der Gerechtigkeit eines Krieges durch Rückführung auf den Vorteil der Menschen subsummiert beide vorherigen Ansätze, kurz:
7) Ein gerechter Krieg ist ein sinnvoller Krieg.
8) Die Beurteilung, ob ein Krieg sinnvoll ist, benötigt Zeiträume, die nicht immer zur Verfügung stehen.
9) Der Militarismus ist nicht trivial falsch und muss in Überlegungen zum gerechten Krieg einbezogen bleiben.
10) Der Pazifismus ist nicht trivial wahr und muss in Überlegungen zum gerechten Krieg einbezogen bleiben.
11) Es ist unsere Aufgabe, rational begründete formale Bedingungen als kurzfristige Entscheidungsgrundlage zu formulieren.