Stell dir mal vor ...

Stell dir mal vor, es gäbe da einen Mann, nennen wir ihn Herrn Friedhof, der kann in die Zukunft sehen und weiß, was passieren wird. Herr Friedhof lebt in der Hauptstadt, und er hat eine verantwortliche Position in der Gesellschaft, die er getreulich ausführt, im Rahmen seiner Möglichkeiten. Herr Friedhof wäre glücklich, wüßte er nicht, daß sein eigener Freund und Nachbar in allernächster Zeit aus Verzweiflung einen Amoklauf starten und dabei viele unschuldige Menschen töten würde. Die Fähigkeit des Herrn Friedhof bedeuten Verantwortung für ihn, und in seiner großen Verantwortung ist Herr Friedhof sehr verunsichert, was es hier zu tun gilt. So dauert es lange, fast zu lange, bis er sich endlich dazu durchringt, seinen Nachbarn zu töten, obwohl ihm dieses Mittel sehr widerstrebt.

Die Frau seines Freundes gerät beim Anblick ihres toten Ehemannes völlig in Verzweiflung, und sie startet einen Amoklauf und tötet viele unschuldige Menschen, vielleicht einen mehr, als ihr Mann es getan hätte. Vielleicht ist dieser eine mehr Herr Friedhof, der den ersten Toten sah und trotzdem nur das Beste gewollt hat.

Stell dir mal vor, du kannst nicht in die Zukunft sehen und weißt nicht einmal mit Sicherheit, ob dein Mord noch Leben rettet - und trotzdem würdest du töten, auf die Gefahr hin, das dies der eine Tote mehr ist, den du retten wolltest?

 

„Das Schwert, das mehr Leben rettet als vernichtet, muß erst noch geschmiedet werden !“

Mölln, ca. 1987