Der Anhalter

Auf der Straße Richtung Norden,
Fahr' ich gerade durch das Land,
Und mein Blick, dereinst unstetig,
Ist vom Atlas wie gebannt.

Auf der Karte, ungewogen,
Gleicht die Straße einem Strich,
Wie mit dem Lineal gezogen,
Und das Ende nähert sich. 

Kurz nur heb' ich meine Augen,
Die Sekunden sind gezählt,
Um den Weg nicht zu verlieren,
Den ich mir dereinst gewählt.

In dem ewig gleichem Bild,
Scheint mir, als ob sich was regt,
Und vom Grund löst sich ein Daumen,
Der als Bitte sich erhebt. 

"Gerade jetzt", so denk' ich mir,
"Wo die Zeit wie Wasser rinnt,

Glaubt der, ich hätt' Zeit zu halten,
Um ihn mitzunehm? Der spinnt!"

Und mein Blick wandert zurück,
Bald erreiche ich mein Ziel,
Wo ich hinwill, weiss ich nicht,
Wo ich herkomm, war's ein Spiel,

War ich immer stets mir sicher:
"Bist Du erst mal unterwegs,

Findest Du die Ruhe wieder",
Die mir doch noch heute fehlt.

Nur das eine weiß ich sicher,
das mir Angst macht, jeden Tag,
Einmal halte ich den Wagen,
Wenn der Motor mir versagt.

Dann gibt es wohl kein Entrinnen,
Keinen Daumen, der erst fragt,

Ob ich geh'n möcht oder bleiben

Wer ist dann noch da, der klagt?

Solches schießt mir durch den Kopf,
Und ich bremse, scharf und schnell,
Hastig reiß' ich auf die Tür,
Und die Sonne scheint so hell. 

Auch der Wald am Straßenrand,
Wiegt sich leicht im sanften Wind,
Blumen blühen, der Mann kommt näher,
Alt und weise, und doch Kind. 

"Wohin möchten Sie denn gerne?"
Frag' ich ihn, er lächelt nur,
Legt die Karte auf den Rücksitz,
Eine Richtung nur pro Spur.

 Und so fahren wir gemeinsam,
Ich bei ihm und er bei mir,
Viele andere fahren mit uns,
Und das Ziel ist gerade hier. 

Mal geschieht es, dass der eine,
Gehen muss, der andere bleibt,
Doch verläßt er meinen Wagen,
Bleibt sein Geist noch alle Zeit.

Und bin ich dereinst verschwunden,
Fahr nur weiter, denk an mich,
Sieh, an jeder neuen Straße
Steht ein Anhalter, steh ich.

Dann, an jenem letzten Tage,
Wenn ich seh' den letzten Sinn:
Wird der Tod selbst mich beneiden,
Spürt er doch, wie reich ich bin.

 

Dudweiler, 1998