Der
alte Kampf zwischen Gut und Böse
In einer Welt, die weit, sehr weit von unserer
Welt entfernt liegt, war die Trennung zwischen Gut und Böse einfacherer
geregelt. Es gab ein Land, in dem die Guten lebten, regiert von einem mächtigen
und weisen König in einem großen, weißen Schloß; alle lebten glücklich
hier, und gut war jeder mit seinem Nachbarn.
Im anderen Land lebten die Bösen, regiert von einem mächtigen und
jungem König im schwarzen Mantel, der auch in seinem eigenem Land nur Schrecken
hinterließ, wo immer er auftauchte.
Alle 500 Jahre, traditionell und regelmäßig,
fielen die Bösen ins Land der Guten ein. Sie plünderten die Höfe und Felder,
und kein Mensch war an Leib und Seele vor ihnen sicher. Zwar waren die Guten bei
dieser Gelegenheit noch niemals endgültig vernichtet worden. Jedoch erinnerte
sich nach so langer Zeit natürlich niemand mehr, wie der Kampf beim letzten mal
so glimpflich entschieden werden konnte. In der allgemeinen Furcht vor dem nächsten
Angriff setzten die Guten Janon den Weisen als ihren Führer ein, der für seine
Kampfesstärke und seine Weisheit gleichermaßen bekannt war. Janon wußte, daß
die Bösen mehr Kämpfer aufbringen konnten als die Guten, und so legte er das
volle Gewicht seiner Strategie auf die Qualität seiner Soldaten. Jahre vor dem
Angriff übte er sie im Schwertkampf, in Speerwurf und in anderen Disziplinen
des Kampfes, und bald schon töteten selbst die schlechtesten seiner Männer
einen Gegner in Sekunden. Und als der Angriff der Bösen kam, pünktlich wie
immer, da zog Janon ihnen mit einer kleinen, aber schlagkräftigen Truppe
entgegen und besiegte sie in mehreren Schlachten. Das Land, das durch Janon's
Heer vor der Besetzung der Bösen bewahrt wurde, zollte dem Weisen ihre ganze
Dankbarkeit, und am Königshof, der niemals durch eine Schlacht entehrt wurde,
herrschte große Freude. Nur den König sah man selten auf den immer häufiger
werdenden Festen.
Während Janon das feindliche Heer aus dem
Lande drängte, zog er an den verbrannten Höfen vorbei und hörte das Weinen
der Bevölkerung, die dem Brennen nicht entkommen war, und vom Zorn gepackt
verfolgte er seine Feinde auch bis hinter die Grenzen und schlug sie noch in
mancher weiteren Schlacht. Aber seltsam: Trotzdem sein Heer jede Schlacht, jedes
Scharmützel und jeden Zweikampf gewann, wurden seine Leute stetig weniger, und
das feindliche Heer nahm nicht merklich an Zahl ab. Von Sieg zu Sieg wurde
Janons Situation bedenklicher.
Lange Zeit sollte es dauern, bis Janon diesen Zusammenhang verstand. Es war an einem lauen Abend, und er war selber auf seinem Rappen ausgeritten, um die feindlichen Verteidigungsanlagen zu inspizieren. Der Ritt hatte ihn sehr ermüdet, aber trotzdem versorgte er sein Tier mit der selben Sorgfalt wie immer. Da sah er durch die Nacht das Gesicht eines seiner Hauptleute im Dunkeln bei den Tieren, der eines der Pferde aufzäumte. Janon erzürnte, denn gerade diesen Mann hatte er als Nachtwache am anderen Ende des Lagers eingeteilt. "Heda, was tust du hier?" rief er ihm entsprechend unwirsch zu. Der Mann sah in seine Richtung, erschrak und sprang wie vom Teufel gehetzt auf eines der Pferde, das er gerade hatte, gab ihm die Sporen und jagte davon. Beim Wegreiten reflektierte sich das Licht des Mondes auf der schwarzen, dunklen Rüstung, die er nun trug. Die Rüstung des feindlichen Heeres.
München, ca. 1994